Die Griechen hatten die tiefsinnige Sage von dem Riesen Damastes, der
den Beinamen Prokrustes – der "Strecker" – führte; denn jeden Wanderer,
den er in seine Gewalt bekam, paßte er in ein Bett hinein. Wer zu klein
war, so daß er das Bett nicht ausfüllte, den "streckte" er, d. h. er
riß ihm die Gelenke auseinander, bis er lang genug für das Bett war. Wer
aber zu groß war, dem sägte er die Beine ab. Er machte alle gleich,
dieses Urbild aller Tyrannen, "Führer" und sonstiger Herren der gleichen
Kategorie, die nur einen Maßstab kennen, ihre eigene Größe. Der Held
Theseus, Herrscher über Athen, machte ihn unschädlich. – In Hans Ulrich
Nichaus Spiel aber gibt es keinen Theseus. Prokrustes zwingt den
machtlosen Bukolis, der ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, der
wüstenhaften Leere seiner "Weltanschauung" zuliebe zu einem Verbrechen
nach dem anderen. Und als sich die Machtverhältnisse ändern, als die
"Weltanschauung" des Prokrustes nicht mehr "en vogue" ist, weiß er sehr
schnell und unerkennbar für die Menge die Seite zu wechseln. – Ohne daß
sich seine Methoden auch nur um ein geringes geändert hätten. Wieder hat
er die Macht in den Händen und wieder steht Bukolis unter seinem
Terror. Ja, er hat so gründlich vorgesorgt, daß nicht er für die Untaten
und Verbrechen, die er begangen hat, verantwortlich gemacht werden
kann, falls es überhaupt zur Verfolgung käme, sondern nur der auch
weiterhin gemarterte Bukolis. Und die Widerstandskraft des Bukolis hat
ihre Grenzen... Parallelen zu der jüngsten Vergangenheit sind nicht zu
übersehen.
Mit dem zweiten Preis des Klagenfurter Hörspielpreises ausgezeichnet. |