Sein Rechtsgefühl glich dem einer Goldwaage - so schrieb Heinrich von
Kleist über eine seiner bekanntesten Figuren, den Rosshändler Michael
Kohlhaas. Unterwegs vom Brandenburgischen zur Leipziger Messe wird
Kohlhaas vorn Junker Wenzel von Tronka aufgehalten. Unter dem Vorwand,
er habe keinen Pass, den er aber wohl benötige, nimmt ihm der Junker
zwei seiner Rappen als Pfand. In Dresden, beim zuständigen sächsischen
Landesherrn, muss er erfahren, dass es gar keines Passierscheins bedarf.
Noch ohne sonderlichen Groll, hatte er doch derweil die restlichen
Pferde zu guten Preisen verkauft, macht sich Kohlhaas auf den Weg zur
Tronkenburg. Als er aber dort seine Rappen bis zur Unkenntlichkeit
abgemagert und den zurückgelassenen Knecht misshandelt vorfindet,
beginnt sich sein sprichwörtliches Rechtsempfinden zu regen. Das
Verhängnis dämmert herauf, als durch höfische Intrigen seine Klage beim
Dresdner Gericht auf Wiederauffütterung der Pferde abgelehnt wird und
nimmt schließlich seinen endgültigen Verlauf, als seine Frau Lisbeth bei
dem Versuch, ihrem Landesherrn eine Bittschrift zu überreichen, von
einem Schergen niedergeschlagen wird und an den Verletzungen stirbt. Nun
beginnt der Kohlhaas'sche Feldzug um die Würde des Rechts, der
letztlich viele Unschuldige trifft, die wahren Verursacher der
Rechtsbeugung aber kaum erreicht. Kohlhaas jedoch sieht sich "der Welt
in der Pflicht verfallen, sich Genugtuung für die erlittene Kränkung,
und Sicherheit vor zukünftiger seinen Mitbürgern zu verschaffen." Dafür
ist ihm jedes Mittel recht. Wie kaum ein Autor vor oder nach ihm hat
Kleist in seinen Werken das ewig gespannte Verhältnis von Individuum und
Gesellschaft, die Frage nach der Legitimität von Recht und Gewalt und
den Anspruch des Einzelnen auf Wahrung seiner persönlichen Integrität in
fesselndster Gestaltung thematisiert. (HR-Programmheft) |